Schicksalsfäden
Jan. 19th, 2010 03:47 pm![[personal profile]](https://www.dreamwidth.org/img/silk/identity/user.png)
Hinweis: Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig. Angelehnt an das Attentat, bei dem der türkische Rechtsextremist Mehmet Ali Ağca am 13. Mai 1981 Papst Johannes Paul II. mit drei Schüssen schwer verletzt hatte.
Die drei Kapitel sind nach den griechischen Moiren benannt:
Klohto („die Spinnerin“) spinnt die Schicksalsfäden, Lachesis („die Zuteilerin“) bemisst ihre Länge und Atropos („die Unabwendbare“) schneidet die Fäden ab und bringt somit den Tod.
In manchen Mythen singen die Moiren; Lachesis über die Vergangenheit, Klotho von der Gegenwart und Atropos über die Zukunft.
Ihre Attribute sind die Spindel für Klotho, die Schriftrolle für Lachesis und die Schere für Atropos.
I. Klotho
Kurz nach Mitternacht zerriss in einer kleinen, heruntergekommenen Baracke ein Schuss die Stille.
Es war nicht das erste Mal, dass einer der Hoffnungslosen, der Asylanten und Illegalen, nach langen und unmenschlichen Strapazen letztendlich doch den einfachsten Weg wählte.
Viele hatten erkennen müssen, dass Europa nicht das verheißene Land war; Gleichzeitig mit der Illusion zerbrach auch die Hoffnung.
Die Menschen, die hier hausten, fluchten leise über denjenigen, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte und drehten sich umständlich auf ihren harten Pritschen, um wieder einzuschlafen.
Niemand nahm wirklich Notiz von dem Leben, das durch den Schuss genommen worden war.
Am nächsten Tag würde der leblose Körper desjenigen von den Mitbewohnern, die Polizei und Gestank fürchteten, im Fluss oder auf der Mülldeponie entsorgt werden und der nächste Hoffnungslose würde seinen Platz einnehmen.
In dieser Gegend, im nördlichen Außenbezirk von Rom, wurde der Wert eines Menschenleben daran gemessen, wie viel er schmuggeln, erbetteln oder stehlen konnte.
„Allahu akbar“, murmelte Ajub und verneigte sich, „Ashhadu an la ilaha illa llah“. Allah ist der Größte; ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt.
Leise kamen die Worte, die er schon tausende Male gesprochen hatten, über seine Lippen.
Ajub sah zu seinen Imam, der regungslos einige Meter von der Türe entfernt lag.
„Ashhadu anna Muhammad rasulu llah“, sagte er und nahm seine Worte gar nicht mehr wahr. Er bezeugte, dass Muhammad der Gesandte Allahs war; In seinen Gedanken nahm Ajub selbst bereits den Platz Muhammads ein.
Der Krieger Gottes.
Es hätte sein letztes Gespräch mit dem Imam werden sollen; Eigentlich hatte er sich gerade von ihm Verständnis, sogar Freude über die Tat im Namen Allahs erhofft.
Es war schmerzhaft für ihn erkennen müssen, dass auch sein Imam von den Lügen der selbstherrlichen Oberhäupter geblendet war.
Seine Familie, seine Brüder und Schwestern, deren er sich schämte, waren Abtrünnige. Sie arbeiteten zusammen mit Andersgläubigen, sprachen mit ihnen in ihrer Sprache und vergaßen ihre Wurzeln .
Selbst sein Vater, sein Vorbild, war zu einem gottlosen Mann verkommen.
Der Hass, der in Ajub brannte, vernebelte seine Gedanken so sehr, dass er das Gebet abbrach und sich aufrichtete.
Schweren Herzens hatte er sich gezwungen gefühlt seinen Freund und Lehrmeister zum Schweigen zu bringen.
Im Stillen betete Ajub für die Gnade Allahs, um die Seele seines Imam vor dem ǧahannam zu bewahren.
Er war ein guter, wenn auch geblendeter Mann gewesen. Seit Jahren hatte er zusammen mit den ärmsten seiner Brüder und Schwestern gelebt, obwohl er ein rechtmäßiger Staatsbürger gewesen war und ihm der italienische Staat eine kleine, aber saubere und warme Wohnung zugeteilt hatte.
Vergessen von Staat und Gesellschaft hatte er es als Pflicht aller Gottesfürchtigen gesehen, sich der Hoffnungslosen anzunehmen.
Auch Ajubs Eltern waren damals seinem Ruf gefolgt und hatten Ajub, damals kaum zehn Jahre jung, dem Imam verpflichtet.
So wuchs er mit dem unendlich Leiden der Menschen am Rande der Gesellschaft auf und lernte den Hass der Verstoßenen und Hoffnungslosen kennen.
Der italienische Staat, dessen einzige Sorge es war die Asylanten und Illegalen zurück in ihre Heimat zu schicken, in der Krieg und Tod auf sie warteten, kümmerte sich einen Dreck um die Kranken und Sterbenden.
Jede helfende Hand war willkommen und Ajub, der schon immer die brennenden Blicke der anderen Menschen auf sich gespürt hatte, war, wie er dachte, endlich angekommen.
In dieser Zeit hatte es angefangen; Unverständnis, Scham und schlussendlich – Hass.
Hass auf die Gesellschaft, dass sie Menschen in ihren eigenen Exkrementen dahinvegetieren und verhungern ließen, nur weil sie anders waren. Eine andere Hautfarbe, eine andere Sprache, anderer Ursprung und anderer Glauben.
Den Staat dafür, dass er sich einen Dreck darum scherte, was abseits der prächtigen Touristenattraktionen, der großen Industriegebiete und der schmucken Wohnviertel vor sich ging.
Doch den größten Hass hegte er gegen die katholische Kirche; die reichen, scheinheiligen Christen.
Stunden über Stunden hatte er nachgedacht, war in Grübeleiein verfallen und zu dem Schluss gekommen, dass sie, die Christen, es waren, die im Stillen den heiligen Krieg begonnen hatten; Indem sie untätig zusahen, wie Hilfesuchende in ihrem Land litten und starben.
Der Grund, das war Ajub klar, war ihr Glauben. Ihr Unglauben.
In den Baracken hatte er viele Menschen kennen gelernt, gehen und sterben sehen, ein Mann hatte ihn besonders beeindruckt.
Bedil war, im Gegensatz zu Ajub, der nie eine Schule besucht hatte, gebildet und belesen gewesen.
Er hatte Ajub erzählt, dass die Christen schon im Mittelalter immer wieder Kreuzzüge ins Leben gerufen hatten, um unter dem Vorwand für Gott zu kämpfen Land und Gold zu erbeuten und sich zu bereichern.
Der Krieg war schon über tausend Jahre im Gange, nie war Frieden gewesen.
In Bosnien, auch Ajubs Heimat, war Bedil Arzt gewesen und hatte in einem Krankenhaus gearbeitet, bis das Krankenhaus im Zuge des Krieges zerstört worden war und er aus Angst vor den serbischen Einheiten das Land verlassen hatte.
Seine Entscheidung hatte Ajub in den Jahren getroffen, in denen er den Mann, der ihm hunderte Geschichten erzählt und tausende Gedanken in den Kopf gepflanzt hatte, hilflos beim langsamen, qualvollen sterben hatte zusehen müssen:
Seine letzten zwei Jahre verbrachte Bedil auf einer harten, kalten Pritsche, gepflegt von Ajub, der die nicht heilen wollenden Wunden an seinem Fuß auswusch und bandagierte, ihm den blutigen, eitrigen Mund ausspülte und wortlos die abgebrochenen, ausgespuckten Zähne entsorgte.
Das letzte Jahr war eine Zeit voller Leiden für Bedil und Ajub gewesen; sein erblindeter, vor Schmerzen krümmender Mentor, hatte ihm gedroht, ihn angeschrien und angebettelt seinem Leiden endlich ein Ende zu setzen.
Ajub konnte es nicht.
Er war zu schwach, zu ängstlich gewesen. Vor vier Wochen hatte Allah endlich Gnade mit Bedil gehabt und sein Märyrium eines Nachts beendet.
Mit Bedils Tod wuchs Ajubs Entschlossenheit.
Bedil hatte sterben müssen, weil ein staatlicher Gutachter, den weder Bedil noch Ajub je zu Gesicht bekommen hatte, entschied, dass seine Diabeteserkrankung laut Gutachten, das ihm sein Freund vorgelesen hatte, 'nicht akut' war und somit die überlebenswichtige Insulinbehandlung für ihn eingestellt worden war.
Ein christlicher, gottloser Staat.
Den Körper seines Imam, seines langjährigen Freundes und Vertrauten, schleifte er von der Türe weg und legte ihn auf seinen Gebetsteppich.
Einige Minuten sah in er in Gedanken versunken in das Gesicht des Toten, das im schummrigen Licht der ausbrennenden Kerze fast friedlich wirkte.
Sie würden die Leiche seines Freundes, der ein anerkannter italienischer Rechtsbürger war, nicht einfach verschwinden lassen können; Er würde zurück nach Pakistan gebracht und dort nach islamischen Brauch bestattet werden.
Mit den Fingerspitzen strich er über den kalten Stahl seiner Waffe; Eine tschechische 9 Millimeter Vz. Nicht sonderlich gut zu handhaben, aber wegen ihrer technischen Rückstandes, weswegen auch 1952 die Produktion eingestellt worden war, und dem starken Rückstoß, von dem Ajub die Schulter schmerzte, billig in der Anschaffung.
Der Mann, von dem er die Waffe für wenig Geld samt Munition bekommen hatte, war froh gewesen sie überhaupt noch zu barem Geld machen zu können.
Es war wichtig, dass so nah wie möglich an sein Ziel heran kam; die Waffe war genauso wenig zielsicher wie Ajub selbst. Er würde ihn aus nächster Nähe töten müssen.
Doch zuerst musste er sich um seine Familie kümmern. Einerseits hatte er Mitleid mit ihnen, die nach dem Anschlag nicht mehr in Frieden würden leben können, andererseits glühte unbändiger Hass in ihm.
Seine Eltern hatten ihn vor Jahren einfach an den Imam abgeschoben, in der Hoffnung der geistliche würde sich um ihren aufrührerischen Sohn kümmern.
Für die Schule hatte Ajub sich nie interessiert und auch ohne Abschluss, ohne dass er richtig Italienisch sprach oder lesen und schreiben konnte, hatte er eine einfache Arbeit in einer Spinnerei gefunden. Zwar war er nur einer der Wäscher, der die Wolle von Fett und Schmutzresten reinigte, doch er war nie auffällig gewesen und hatte noch nie Ärger mit seinem Vorarbeiter gehabt.
Mit langsamen, gemächlichen Schritten verließ er die Baracke und ließ den ekelhaften Gestank, der dem Elendsviertel anheftete hinter sich.
Anstatt zu seiner Wohnung zu fahren, eine fünfzig Quadratmeter kleines Mietobjekt mit einem Bad, einer Küche und zwei Schlafzimmern, die er sich mit zwei pakistanischen Imigranten teilte, nahm er den Bus in die Gegenrichtung.
Die Lichter Roms zogen an seinem Fenster vorbei, es stank nach Diesel und Schweiß; Ajub glaubte in dieser Nacht die Lichter, Farben und Gerüche intensiver wahrzunehmen, als jemals zuvor.
Kein anderer Fahrgast zu dieser späten Stunde nahm Notiz von ihm. Ein Gesicht in der Masse. Ein anderer junger Mann, etwa in seinem Alter, Mitte zwanzig, saß einige Reihen vor ihm. Unauffällilg, wie Ajub selbst, auch dunkelhaarig, aber an seiner Kleidung erkennbar in besseren Verhältnissen lebend. Vielleicht ein Student, vielleicht aber auch einer der vielen Touristen, die selbst Nachts nicht müde wurden die ewige Stadt zu erkunden wie Ameisen einen Kühlschrank.
Einige Sekunden dachte Ajub darüber nach, ob er auch in diesem Bus sitzen würde, hätten seine Eltern nicht flüchten müssen und sich in Italien aus dem Nichts eine neue Existenz schaffen müssen.
Seine Mutter war vierzehn Jahre jung, als sie Ajub geboren hatte, gerade sechzehn, als sie Bosnien zusammen mit ihrem Mann, seinem Vater, verlassen hatte.
Er fragte sich wo er wäre, hätten seine Eltern in seiner Kindheit Zeit gehabt sich um ihn zu kümmern, anstatt zwölf Stunden pro Tag zu schuften und ihn allein in der trostlosen, kalten Baracke zurück zu lassen.
Schon lange machte er seinen Eltern keine Vorwürfe mehr deswegen; Er wusste, sie hatten nur überleben wollen und auch um seinetwillen die Strapazen der Flucht auf sich genommen. Damals hatten sie keine andere Wahl gehabt, als ihr Kind sich selbst zu überlassen und zu arbeiten, bis sie umfielen.
Später hatte Ajub auf seine vier Jahre jüngere Schwester achten müssen, die ebenso wenig geplant gewesen war, wie er selbst. Liebevoll hatte er sich um sie gekümmert gehabt und der Dank dafür war, dass sie eines Tages mit einem Römer, einem Italiener nach Hause kam.
Was war es für eine Schande sich eingestehen zu müssen, dass seine Schwester, sein eigenes Fleisch und Blut, zu einer Christennutte verkommen war.
Seine Eltern, diese verblendeten Schafe, hatten sich gefreut, sogar auf eine baldige Hochzeit gedrängt; Einzig er hatte aufbegehrt, hatte sie angeschrieen und geschüttelt, bis ihr Vater, sein Vater, ihn von ihr weg gezogen und aus dem Haus geworfen hatte.
Das war vor zwei Jahren gewesen; An diesem Tag hatte er seine Eltern und seine Geschwister zum letzten Mal gesehen.
Bedil und der Imam waren ihm als einzige Freunde, als Familie geblieben.
Wäre er geworden wie seine beiden jüngeren Brüdern, die noch zu Hause lebten und wohl behütet von seinen Eltern aufwuchsen?
Beide besuchten eine Schule, sprachen Italienisch wie ihre Muttersprache und seine Eltern waren nie müde gewesen zu betonen wie stolz sie auf ihre jüngsten Sprößlinge waren.
Ein schmerzhafter Stich; Niemals waren sie auf Ajub stolz gewesen.
Doch es bestand noch Hoffnung. Im Djanna würden sie sich wiedersehen und seine Eltern würden voller stolz ihren Sohn, der die Welt verändern würde, in die Arme schließen können.
Ein leiser Signalton wies den Busfahrer an bei der nächsten Station zu halten. Als Ajub an dem fremden jungen Mann vorbei ging, sah dieser nicht einmal auf. Gedankenversunken starrte er auf ein Stück Papier und schien seine Umwelt gar nicht wahr zu nehmen.
Das Haus, in dem seine Eltern seit ein paar Jahren lebten, lag friedlich inmitten eines Neubaugebietes am Rande von Rom. Sie hatten sich dort eine Wohnung angemietet, die zwar nicht sonderlich groß, aber zumindest sauber und warm war.
Einige Minuten blieb Ajub an der Bushaltestelle stehen und sprach im Stillen ein Gebet.
Seine Familie zurück in ihre Heimat gebracht werden, damit sich ihre dortigen Verwandten um ihre Körper kümmern konnten.
Ajub würde sorgfältig sein, er würde dafür sorgen, dass seine Eltern und Geschwister keine Schmerzen leiden mussten. Sie würden Märtyrer sein, für Allah sterben und nach Djanna eingehen, wie er auch.
Die Türe war abgeschlossen, doch das war kein großes Hindernis; Sein Vater hatte nie daran gedacht ihm den Hausschlüssel abzunehmen. Leise knarzte die Türe, Ajub hielt inne und lauschte.
Einige Sekunden verharrte er regungslos, dann schloss er die Türe leise hinter sich.
Seine Sinne waren geschärft; er roch die Zwiebeln, die seine Mutter stets zum Kochen verwendete, das Sarajevsko Pivo , das sich sein Vater jeden Abend vor dem zu Bett gehen gönnte.
Der dicke Teppich, der die kalten PVC-Platten überdeckte, dämpfte seine Schritte. Das Wohnzimmer und die Küche im unteren Stockwerk lagen im Dunkeln; An den Umrissen der Möbel, die spärlich durch die kleinen Fenster im Licht der Straßenlaternen erkennbar waren, fiel Ajub auf, dass sich seit seinem Auszug nichts verändert hatte. Seit Jahren redete seine Mutter darauf hin sich neue Möbel zu beschaffen und die alten, abgenutzten Stücke zu entsorgen, doch sein Vater war entschieden dagegen. Solange die Garnituren ihren Zweck erfüllten, würden ihm keine neue Möbel ins Haus kommen.
Verhalten lächelte Ajub bei der Erinnerung an die vielen kleinen Zankereien zwischen seinen Eltern. Im Grunde genommen war sein Vater das Familienoberhaupt, doch seine Mutter war immer gewieft genug gewesen das zu bekommen, was sie wollte. Ausgenommen neue Möbel.
Vorsichtig schlich Ajub in das erste Obergeschoß des Hauses, in dem sich das Schlafzimmer seiner Eltern befand. Vorbei an seinem alten Zimmer, das er wehmütig betrachtete; dicke Teppiche lagen auf dem Boden, auf einem kleinen Schemel in der Mitte des Raumes lag ein Buch, von dem Ajub wusste, dass es der Koran war.
Sein Vater war nie ungebildet gewesen und in den letzten Jahren hatte er sich zunehmend damit beschäftigt besser Schreiben und Lesen zu lernen, auch damit die italienische Sprache besser zu beherrschen.
Integration nannte es sein Vater.
Selbstaufgabe nannte es Ajub.
Das, so glaubte Ajub, war der Anfang vom Ende gewesen. Eines Abends war seine Mutter nach der Arbeit nach Hause gekommen – ohne ein Kopftuch zu tragen!
Seine Eltern wollten ihn beruhigen, ihm erklären, dass seine Mutter diesen Entschluss gefasst hatte, um sich in der fremden Gesellschaft besser zurecht zu finden.
Sein Entsetzen war grenzenlos gewesen. Das Kopftuch, das zeigte, dass sie eine gläubige Muslimin war, abgelegt, nur damit sie keinen neugierigen und mitleidigen Blicken mehr ausgesetzt war?
Sein Vater, von dem er sich Hilfe erhofft hatte, war ihm in den Rücken gefallen, als er ihn dafür gerügt hatte die Entscheidung seiner Mutter anzuzweifeln.
Damals schon hätte Ajub erkennen müssen, dass beide geblendet waren. Verlorene Tiere, die er damals vielleicht noch hätte retten können.
Mit trägen, dunklen Gedanken beobachtete Ajub seine schlafenden Eltern. Das Schlafzimmer war spärlich ausgestattet mit zwei seperaten Kleiderschränken, die ganz und gar nicht zu dem Bett und den zwei kleinen Nachttischen passten.
Unter dicken Decken lagen seine Eltern, friedlich schlafend nebeneinander.
Das Messer hatte er in einer Pfandleihe erstanden; Es war robust, aber nicht sonderlich scharf gewesen, weshalb er es mit einem Schleifstein bearbeitet hatte, bis die Pappkartons aus der Fabrik ihm nichts mehr entgegen zu setzen gehabt hatten.
Es war nicht groß und auch nicht sonderlich beeindruckend, aber es diente seinem Zweck.
Lautlos glitt Ajub ein Gebet über die Lippen, als er zögerlich die Decke ein wenig zurück zog, so dass der Hals seines Vaters frei lag.
„Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen, bei der Zeit. Wahrlich, der Mensch ist in einem Zustand des Verlusts, außer denjenigen, die glauben und gute Werke tun und sich gegenseitig zur Wahrheit und zu Geduld mahnen.“
Das leise Schnarchen entlockte Ajub erneut ungewollt ein Lächeln, obwohl seine Nerven bis zum Zerreissen gespannt waren.
Seine Hand zitterte nicht, wie er erwartet hatte. Im Gegenteil: Die kalte, scharfe Klinge hielt er ruhig einige Zentimeter über der Kehle seines Vaters.
Es war nur eine schnelle Bewegung, ein kräftiger Ruck, die das Schicksal für ihn und seine Familie besiegelte.
Es war nicht wie in Filmen, die Ajub gesehen und für authentisch erachtet hatte; Das Blut spritzte nicht, sondern floß in einem Schwall, als wäre ein Damm durchbrochen, aus der klaffenden Wunde. In der Dunkelheit glaubte Ajub zu erkennen, dass er ihm beinahe vollständig den Kopf abgetrennt hatte.
Das einzige Geräusch war das Rascheln der Bettdecke. Sein Vater schrie nicht auf, er wimmerte nicht, sondern zuckte nur. Das Kissen, das der Junge in der anderen Hand gehalten hatte, um es auf das Gesicht seines Vaters zu drücken, sollte dieser Schreien, lies er sinken.
Leise murrend drehte sich seine Mutter um, Ajub hielt den Atem an, doch nichts zeugte davon, dass sie von dem Todeskampf ihres Gatten aufgewacht war.
Mit Sentimentalitäten hielt sich Ajub nicht auf; Er wusste, dass die Seele seines geliebten Vaters seinen Körper verlassen hatte und jedwede weitere Zuwendung unerheblich war.